Über das Netzwerk
Wir, die Neue Kritische Theaterwissenschaft, sind eine Gruppe von Forscher*innen, die fachlich in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft angesiedelt sind. Wir haben dieses Netzwerk gegründet, um auf die klaffende Lücke in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft bezüglich postkolonialer, dekolonialer und intersektionaler Methodologien, Theorien und Forschungsansätze aufmerksam zu machen. Diese Lücke manifestiert sich auch in der Ignoranz des Fachgebietes, sich mit den rassifizierenden und andauernden kolonialen Praktiken zu konfrontieren, die so häufig noch Theaterpraxen und akademische Diskurse im deutschsprachigen Raum beeinflussen. Auch manifestiert sich darin die anhaltende Exklusion von rassifizierten und minorisierten Theatermacher*innen und Performer*innen sowie ihrer ästhetischen Praxis.
Wir haben dieses Netzwerk als Möglichkeit der Intervention gegründet. Die Neue Kritische Theaterwissenschaft bietet eine Plattform für Theaterwissenschaftler*innen, die zu und mit postkolonialen, dekolonialen und intersektionalen Theorien und Ansätzen arbeiten, um sich auszutauschen, kollektiv zu publizieren und längerfristige Strukturen in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft aufzubauen. Das Netzwerk bietet außerdem Werkzeuge und Tutorials für eine nächste Generation von Studierenden, die an intersektionalen, postkolonialen und dekolonialen Themen in der Theaterwissenschaft interessiert sind. Wir haben aus unseren eigenen Lehrerfahrungen heraus festgestellt, dass die Nachfrage nach diesen Themen von Seiten der Studierenden groß, aber das Angebot an den Theaterwissenschaftsinstituten dazu jedoch noch immer eher klein ist. Das wollen wir strukturell ändern. Auch sind wir uns der gewaltvollen und rassistischen Strukturen der weißen Universitäten bewusst, so dass wir insbesondere darauf zielen, BIPOC Studierende der Theaterwissenschaft zu unterstützen, und sie dazu ermutigen, mit uns in Kontakt zu treten.
Im Zuge der weltweiten Black Lives Matter Demonstrationen und lokaler anti-rassistischer Lobbyarbeit Schwarzer Aktivist*innen zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und der anhaltenden Kolonialität in deutschen Institutionen haben sich die deutschen Stadttheater in den letzten Jahren verstärkt mit ihren eigenen Blickregimen, Repräsentationsmechanismen und Fragen zu anti-rassistischen Praktiken auseinandergesetzt. Eine ähnliche Bewegung lässt sich leider für die deutschsprachige Theaterwissenschaft nicht feststellen. Forschungsansätze und Curricula scheinen weitestgehend unangetastet von den aktuellen Diskussionen um race und Repräsentation zu bleiben. Wir sind der Überzeugung, dass die Forderung nach der Dekolonisierung der Universität untrennbar mit der Verteidigung der Rolle der Universität als Raum für gesellschaftliches Engagement und sozialpolitische Entwicklungen verbunden ist. Wir verstehen unsere Arbeit als Forscher*innen deshalb ganzheitlich – innerhalb und außerhalb des akademischen Alltags, innerhalb und außerhalb kultureller Räume, innerhalb und außerhalb des Seminarraumes. Unser Ethos ist anti-rassistisch und intersektional.
Wir sind überzeugt davon, dass intersektionale Ansätze und der Gebrauch dekolonialer Methodologien und anti-rassistischer Praktiken in der Theaterwissenschaft nicht als eigene Unterdisziplin zum Tragen kommen sollten, sondern in die Breite theaterwissenschaftlicher Forschungsansätze und -praktiken einfließen müssen. Unser Ziel ist daher die langfristige Entwicklung von postkolonialen, dekolonialen und intersektionalen Methodologien für alle Bereiche der Theaterwissenschaft, sei es die Theatergeschichte, die Aufführungsanalyse oder selbst die Theatersemiotik. Dass wir uns dabei hauptsächlich auf die deutschsprachige Theaterwissenschaft fokussieren, schließt andere regionale theaterwissenschaftliche Diskurse nicht aus. Im Gegenteil, ähnliche Lücken können auch in der Theaterwissenschaft in z.B. den Niederlanden, Belgien und Dänemark festgestellt werden. Unser Fokus ist weniger ein geographischer und nationalstaatlicher als ein epistemologischer